Zurück zur Übersicht
30. Januar 2023

Die Zeit drängt

Die EU verkürzt die Genehmigungsverfahren für Solar- und Windprojekte ganz erheblich. Kommt damit die Energiewende in Europa endlich in Schwung?

Vögel zählen, Denkmäler meiden, Kröten bewässern, Gutachten schreiben, Bäume pflanzen, Verbänden ausweichen, Nachbarn besänftigen, Beamte anstupsen, endlose Anträge endlich einreichen – und dann warten, warten, warten. Und zwar sehr lange. So sieht die Realität aus, wenn jemand ein Windrad aufstellen will.

Die EU will damit endlich Schluss machen und die Verfahren beschleunigen. Seit Anfang 2023 gilt eine Notfallverordnung unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Das bedeutet konkret:

– Innerhalb von sechs Monaten müssen die Behörden über die Genehmigung für repowerte Windparks entscheiden. Umweltverträglichkeitsprüfungen dürfen nicht von vorne beginnen, sondern beschränken sich auf die Änderungen am bestehenden Windpark. Der Netzanschluss für die repowerten Anlagen muss in der Regel innerhalb von drei Monaten bestätigt werden.

– Die Genehmigungsdauer für Solar- und Speicheranlagen am selben Standort darf maximal drei Monate betragen; die gleiche Frist gilt für Solaranlagen auf Dächern. Außerdem entfällt für derartige Anlagen die Umweltverträglichkeits- prüfung.

– Wärmepumpen bis 50 MW sind innerhalb eines Monats, Erdwärmepumpen binnen drei Monaten zu genehmigen.

– Erneuerbare Energien, Speicher und Netze sind von überwiegendem öffentlichem Interesse und haben grundsätzlich Vorrang vor anderen Belangen wie dem Natur- und Landschaftsschutz.

Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet

Mit der Verordnung regelt die EU erstmals direkt die Genehmigungsverfahren in den Mitgliedstaaten. Brüssel rechtfertigt diesen radikalen Eingriff mit einer Notstandskompetenz in den europäischen Verträgen: Vor dem Hintergrund des Klimawandels und des russischen Angriffskriegs in der Ukraine könne mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien nicht länger gewartet werden.

Die EU setzt auf Projekte, die schnell umgesetzt werden können, um den Notstand zu bewältigen; für neue Windparks an neuen Standorten gibt es daher weiterhin keine strikten zeitlichen Vorgaben.

Die Verordnung gilt zunächst einmal für 18 Monate und für alle Genehmigungsverfahren, die ab dem 1. Januar 2023 beginnen. Die Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie die Regelungen auch auf bereits laufende Verfahren anwenden wollen.

Kaum neue Sanktionen

Abgesehen von Solaranlagen bis 50 kW, bei denen die Genehmigung nach einem Monat als erteilt gilt, sagt die Verordnung nichts zu den Konsequenzen, wenn die Fristen überschritten werden. Eine Überschreitung wird daher zunächst nur den Rechtsweg zu den Gerichten in Form einer Untätigkeitsklage eröffnen. Denkbar ist auch eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission. Dies kann langfristig zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen den Mitgliedstaat führen – die Verordnung gilt schließlich als unmittelbar geltendes Recht – und kurzfristig zumindest politischen Druck ausüben.

In besonders eklatanten Fällen sind auch Amtshaftungsansprüche denkbar, wobei die Hürden sehr hoch sind, insbesondere wenn die Behörden schwierige Abwägungsentscheidungen zu treffen haben. Bei verzögertem Netzanschluss kommen zudem Schadensersatzansprüche in Betracht.

Europaweiter Vorrang

Bemerkenswert ist dennoch der Vorrang der erneuerbaren Energien, der jetzt europaweit gilt. Zwar steht der Vorrang bereits im EEG; es wurden aber Zweifel geäußert, ob der Vorrang auf Bundesebene auch auf Länderrecht durchschlägt (siehe die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 21. April 2022 (12 MS 188/21 Rn. 71)). Diese Zweifel dürften nunmehr jedenfalls dann ausgeräumt sein, wenn es um EU-Regelungen geht, wie zum Beispiel im Artenschutz.

Aufgrund des Vorrangs können Projekte für EU-Umweltauflagen von einer vereinfachten Prüfung profitieren. Für den Artenschutz gilt dies nur, wenn geeignete Schutzmaßnahmen ergriffen und ausreichende Finanzmittel und Flächen bereitgestellt werden. Die Mitgliedstaaten können jedoch für Windvorranggebiete generell festlegen, dass bei erfolgter strategischer Umweltprüfung auf die spezielle Prüfung für alle Arten verzichtet wird. Dies allein kann den Prozess beschleunigen.

Dezentralität stärken

Vor allem für Kleinanlagen werden die Verfahren entbürokratisiert. Kleinanlagen stabilisieren die Energiepreise, ohne die Netzstabilität nennenswert zu beeinträchtigen. Netzbetreiber müssen daher den Netzanschluss gewähren.

Inwieweit die Verordnung die Praxis dauerhaft verändern wird, bleibt abzuwarten. Sie zeichnet zum Teil bereits beschlossene Beschleunigungsmaßnahmen des deutschen Gesetzgebers nach; insbesondere mit den neu beschlossenen Fristen bringt sie aber auch Neuerungen für Deutschland. Typisch für den europäischen Kompromiss gibt es zudem schwammige Formulierungen, einschränkende Voraussetzungen und einige Ausnahmen.

Dennoch ist die „Notfallverordnung“ ein Signal an alle Beteiligten, dass sich dringend etwas ändern muss. Denn für die Energieunabhängigkeit und das Klima zählt jede Kilowattstunde.

 
Anmelden