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11. November 2021

Die Bundesnetzagentur muss unabhängiger werden

Die Bundesnetzagentur folgt den Vorgaben der Politik, wenn sie die Netzentgelte festlegt. Das darf nicht sein, urteilte der Europäische Gerichtshof.
Bundesnetzagentur in Bonn. Photo: Eckhard Henkel - Wikimedia Commons; Lizenz: Creative Commons BY-SA 3.0.

Bisher hatte bei der Festlegung der Netzentgelte das Bundeswirtschafts- ministerium das alleinige Sagen. Die Politik bestimmte gegenüber der Bundesnetzagentur die Bedingungen und Methoden der Netzregulierung. 

Die Europäische Kommission hielt diesen Zustand für nicht länger hinnehmbar und betrieb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Grund: Der Einfluss der Regierung öffne Tür und Tor für intensive Lobbyarbeit von Unternehmen. Das führe zu einer interessengeleiteten Verzerrung der Preisgestaltung. Die Bundesnetzagentur solle aber als unabhängige Kontrolleinrichtung fungieren und selbst über die Kosten für das Durchleiten von Gas und Elektrizität bestimmen – allein auf der Grundlage des öffentlichen Interesses, frei von Weisungen Dritter.

Freiheit von Lobbyismus

Die Luxemburger Richter sehen das nun genauso. Mit Urteil vom 2. September 2021 (Aktenzeichen C-718/18) verurteilte der Europäische Gerichtshof die Bundesrepublik Deutschland dazu, der Bundesnetzagentur mehr Freiheit zu gewähren. Das betrifft sowohl die Begrenzung des Einflusses der Exekutive als auch der Legislative. Der Gerichtshof hat damit die Bedeutung von unabhängigen Regulierungsbehörden hervorgehoben und konkret § 24 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) für europarechtswidrig erklärt.

Das Urteil wurde durchweg als „Paukenschlag“ aufgenommen, denn in großer Klarheit macht es deutlich: Deutschland hat die EU-Richtlinien für den Strom- und Gasmarkt nicht richtig umgesetzt. Die Unterwerfung der Bundesnetzagentur unter politische Vorgaben widerspricht einem offenen und durch Wettbewerb geprägten europäischen Binnenmarkt. Deutschland berief sich vergeblich auf die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten und das Prinzip demokratischer Legitimation. Denn nur eine vollständige rechtliche und institutionelle Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden gegenüber Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Stellen gewährleiste unparteiisches und von Diskriminierungen freies Handeln, urteilte der Gerichtshof.

Auch die Netzbetreiber müssen unabhängig sein

Gegenüber dieser fundamentalen Aussage tritt etwas in den Hintergrund, dass der Gerichtshof auch die weiteren von der Kommission gerügten Umsetzungsdefizite bestätigt hat. Der Vollständigkeit halber sollen sie hier erwähnt werden. Sie betreffen die §§ 6 bis 10e EnWG, welche die Unabhängigkeit der Netzbetreiber von anderen Tätigkeitsbereichen der Energieversorgung regeln:

So kritisierte der Gerichtshof § 10c Abs. 2 und 6 EnWG über die Unabhängigkeit des Personals und der Verwaltung des Übertragungsnetzbetreibers. Gemäß § 10c Abs.1 EnWG dürfen insbesondere Führungskräfte und Mitglieder der Verwaltungsorgane des Netzbetreibers während bestimmter Karenzzeiten keine beruflichen oder geschäftlichen Beziehungen zu dem vertikal integrierten Unternehmen, einem seiner Teile oder auch seinen Mehrheitsanteilseignern unterhalten. Der Gerichtshof moniert, dass § 10c Abs. 2 und 6 EnWG diejenigen Teile des Netzbetreibers vom Anwendungsbereich der Karenzfristen ausnimmt, die nicht direkt im Energiebereich tätig sind. Damit aber könnten die europarechtlichen Vorschriften über eine wirksame Entflechtung umgangen werden.

Schließlich stellte der Gerichtshof fest, dass auch den Beschäftigten des Netzbetreibers direkte oder indirekte Beteiligungen an Unternehmensteilen des Netzbetreibers zu verbieten seien, ebenso die Entgegennahme von finanziellen Zuwendungen. Die in § 10c Abs. 4 EnWG geregelte Pflicht zum Verkauf von Anteilen am Netzbetreiber richte sich aber nur an die Unternehmensleitung, nicht hingegen an die Beschäftigten des Netzbetreibers. Das sei nicht genug, um das Ziel der Entflechtung effektiv zu erreichen.

In eben diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass der deutsche Gesetzgeber den Richtlinienbegriff des „vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens“ nicht korrekt umgesetzt hat. § 3 Nr. 38 EnWG beschränkt ihn auf Unternehmen, die in der EU ansässig sind. Eine solche umgehungsträchtige Einschränkung ist der Richtlinie jedoch fremd.

Mithin ist das deutsche Energierecht zu ändern. Die festgestellten Verstöße müssen schnellstmöglich beseitigt und ein europarechtskonformer Zustand hergestellt werden. Dies wird eine der ersten Aufgaben der neuen Bundesregierung, respektive des neuen Bundestags, sein.

 
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